Farbe bei Kahl (09/2017) (1)

Manfred H. Wolff

 

Das Auftreten von Farbe in den Plastiken von Harald Kahl hat mich überrascht. Hatte ich ihn doch kennengelernt als Puristen, dessen Ausgangspunkt für die Konstruktion und Erstellung einer Plastik die autonome Form ist. Grundlage bildet das Quadrat, über dem sich die dritte Dimension als Kubus entwickelt. So sind die Plastiken von Harald Kahl klassische Quaderblöcke, die Linien, Flächen, Körper, Raum und Volumen betonen. Die Form ist auf das Wesentliche reduziert, wobei diese Reduktion aber nicht zur Verarmung führt. Das Spannung gebende Element erfahren die Plastiken also nicht durch extreme oder dramatische Kontraste, sondern eher auf subtile, auf leise Art. Sie bestechen durch ihre reduzierte Form. Konkrete Kunst. Ganz im Sinne von Theo van Doesberg, der den Begriff der Konkreten Kunst in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts geprägt und in einem Manifest niedergeschrieben hat. Kahls Plastiken lenken die Aufmerksamkeit auf sich nicht als mysteriöse oder luxuriöse Objekte, sondern vielmehr erfährt der Betrachter, was eine Plastik an sich ausmacht, nämlich ihre fundamentalen Komponenten wie Form, Proportion und Material sowie die Einordnung in den sie umgebenden Raum, die Verortung.

Das Entscheidende ist die Form, dann kommt das Material. Die Form sucht quasi ihr Material. Klarheit in der Form erfordert aber auch Eindeutigkeit und Echtheit im Material. Kahl verwendet neben Stahl, Stahlbeton, Edelstahl auch Zement, Granit und Ruhrsandstein. Seine Plastiken sind also durch das Material geprägt.

Und mit dieser „Materialgerechtigkeit“ steht Kahl in der Tradition der Bildhauer wie Michelangelo mit seinen Marmorskulpturen, Donatello mit den Bronzen oder den Mitbegründern der modernen Plastik Rodin und Brancusi, die ohne Farbe gearbeitet haben. Gerade die Materialeigenschaften der hochpolierten Bronze bei Brancusi, in der sich die Umgebung perfekt spiegelt und die Schnelligkeit der Bewegung evoziert wird, ist in seinen Skulpturen das wichtigste Element.

Der Begriff „Materialgerechtigkeit“ stammt aus dem frühen 20. Jahrhundert und bedeutet sinngemäß, dass ein verwendetes Material nicht seine ursprünglichen Eigenschaften und Erscheinungsweisen verstecken, sondern sichtbar werden lassen sollte. Das heißt, das Material sollte seine besondere Eigenart zeigen und nicht durch Ornamente, Anstriche, Verfärbungen, Überzüge usw. "entstellt" werden. Bei einer Skulptur aus Holz, um ein klassisches Beispiel zu bringen, soll das Holz auch nach Holz aussehen und seine natürliche Farbe und Maserung zeigen. Bei der Materialgerechtigkeit handelt es sich also um die Formgebung, die auf den Grundsatz zurückgeht, jeden Werkstoff in seiner natürlichen Schönheit und in einer seinen technischen Eigenschaften entsprechenden Verarbeitungen bzw. Konstruktionen unverhüllt ästhetisch wirksam werden zu lassen. Plastiken sind also durch ihre Materialien geprägt. (1)

Dennoch spielt die Farbigkeit und Bemalung von Skulpturen und Plastiken in der Kunstgeschichte eine durchaus wichtige Rolle. Der Autor und Restaurator Johannes Taubert beschäftigt sich sich in seinem Buch „Farbige Plastiken“ mit dem Problem der plastischen Form und Farbe insbesondere unter dem Aspekt der mittelalterlichen sakralen Kunst: „Man hat sich allgemein angewöhnt, beim Betrachten von Skulpturen lediglich von der plastischen Form zu sprechen. Überblicken wir jedoch die europäische Kunstentwicklung- auch die außereuropäische wie etwa in Ostasien- so sehen wir, dass Skulptur über lange Epochen hinweg farbige Skulptur gewesen ist. Und zwar waren die sowohl im Freien stehenden Skulpturen als auch die im Innenraum an Architektur gebundene Plastik farbig ausgestaltet. Schon seit der Antike finden wir als Beweis für diese These häufig Skulpturen aus verschiedenfarbigem Material wie die polylithe Plastik: sowohl antike römische als auch barocke Skulpturen sind häufig aus verschiedenfarbigen Steinen zusammengesetzt. Daher wird eine Betrachtungsweise nur auf die plastische Form hin den Skulpturen nicht vollgerecht, denn die farbige Erscheinungsweise gehört wesensmäßig zur Skulptur. Dies gilt sogar für diejenigen Skulpturen, die sich als monochrome, einfarbige Statuen darstellen-hier ist die Farbigkeit der Umgebung, in der die einfarbige Skulptur steht, wesentlich für die Erfassung ihrer Bedeutung.“(2)

Der Autor reflektiert weiter über die wechselseitigen formalen Beziehungen zwischen Flachmalerei und Skulptur. Die Bemalung der Skulpturen ebenso wie die Vergoldung etwa der gefalteten Gewänder einer heiligen Figur dient dazu, zusätzliches Licht in die Faltenstegen zu bringen und so eine Steigerung der Plastizität zu bewirken. „Eine solche Steigerung der plastischen Form hängt natürlich auch vom umgebenden Licht ab, in einem dunkleren Raum wird sie besser zu erkennen sein als im vollen Scheinwerferlicht. Übrigens kennt auch die moderne Kunst solche Mittel zur Steigerung der plastischen Wirkung. Die Bronzeskulpturen Henry Moores sind u.U. an den Kanten glatter, also heller gehalten als an den plastisch nicht so aktiven Partien“. Und an einer anderen Stelle . „Eine andere Möglichkeit, Flachmalerei direkt mit Plastik zu verbinden ist es, wenn gefaßte Skulpturen vor einem nur gemalten Hintergrund sitzen. Erst Plastik und Malerei zusammen ergeben die geschlossene Darstellung, wobei natürlich zu beachten ist, daß die Farbe jeweils über das Ganze geht und damit den gemalten Hintergrund und die plastische Figurengruppe im Vordergrund verbindet.“(2)Auch wenn man dem Autor nicht in jeder Konsequenz folgen mag, so findet sich hier doch ein wichtiger Hinweis auf den grundlegenden Zusammenhang von Malerei und Plastik.

Nach diesem Exkurs zurück zu Harald Kahl und seiner Entwicklung zur farbigen Plastik. Dabei sind zwei parallele Prozesse zu beobachten. Zum einen seine frühen Plastiken, Zementgüsse, die er mit farblosem oder auch schwarzem Wachs, teilweise sogar mit ordinärer Schuhcreme, eingerieben hat, um so eine gewisse Härte und einen leichten Glanz zu erreichen, der die Materialeigenschaften besser hervorbringt. Zum anderen sind da seine grafischen Arbeiten, die unabhängig vom plastischen Werk entstanden sind. Zeichnungen in dunkelroten Tönen mit Graphitstiften. In Serien angefertigt thematisieren sie seine Lieblingsfarbe Dunkel-Wein-Rot. Um diesen Farbton zu variieren und dem Schwarz näher zu kommen, verwendete er als Malmittel eingekochte reife Holunderbeeren. Als dann beim Experimentieren durch Verdünnungen ein Dunkelblau auf der Rückseite der Grafiken entsteht ist die Überraschung zwar groß, erinnert Kahl aber an eine seiner frühesten Arbeiten, eine Ölmalerei von 1972 mit Tüchern in den Varianten von Blau-Schwarztönen. Diese Beobachtung zitierte Kahl in einem unserer Gespräche so: „In diesem Moment entstand in mir nicht nur ein Gefühl des Identisch- Seins mit der eigenen Herangehensweise, sondern auch die Lust, diese Farbigkeit an Plastiken zu realisieren.“

Beide Prozesse also, das monatelange Arbeiten im grafischen Bereich mit der neu entdeckten Farbigkeit und die Erinnerung an das Wachsen von Zementgüssen lässt Kahl den nun als Dogma empfundenen Grundsatz der Materialgerechtigkeit überprüfen und für sich den Schluss daraus ziehen, dass farbiges Wachsen nicht die Erscheinung des Materials verhindert oder gar verschleiert. Dies wäre nur bei einem Anstreichen mit dicker Farbe der Fall. Kahls farbige Skulpturen sind daher mehr als nur eine momentane Laune, sondern er ist überzeugt davon, dass durch die dunkelblaue Tönung die Grundstruktur seiner Arbeiten, nämlich das Ruhige und Meditative, eher intensiviert und verstärkt wird, denn Blau vermittelt eben auch Tiefe, Zurücktreten und Stille.

Und so sind für mich die Plastiken von Harald Kahl von hoher Qualität. Und diese Qualität liegt zum einen in ihrer Einfachheit und Schlichtheit, die so ein erneutes neues Nachdenken über die Bedeutung der Skulptur, der Plastik hervorruft, zum anderen in ihrer Sachlichkeit, unabhängig von dem jeweils verwendeten Material.

Literatur:

1. Rottau, Nadine, Materialgerechtigkeit, Ästhetik im 19. Jahrhundert, Shaker Verlag, Herzogenrath,2012

2. Taubert, Johannes, Farbige Skulpturen: Bedeutung ,Fassung, Restaurierung, Callway Verlag, München ,1978

Projekte und Wettbewerbe (2010) (2)

Manfred H. Wolff

 

 

Mein besonderes Interesse an konkreter Kunst brachte mich 1995 mit Harald Kahl zusammen. Das Freigelände der Fa. Neuhaus Witten und einen 80 m²-Raum hatte er mit 25 Arbeiten bestückt. Die dort präsentierten Plastiken ermöglichten mir sofort ein Verständnis seiner klar definierten Formensprache, seiner Arbeitsweise und seines künstlerischen Anliegens. Ausgangspunkt für Konstruktion und Entstehung seiner Arbeiten ist die autonome Form. Grundlage bildet das Quadrat über dem sich die dritte Dimension als Kubus oder Quader entwickelt. Die Form ist auf das Wesentliche reduziert. Diese Reduktion aber führt nicht zur Verarmung.

Jede Form hat ihre Bedeutung. Das Stehen und Liegen, bei Rolf Wedewer z.B. auch als Selbstausdrücklichkeit einfacher Formen beschrieben ¹, hat nicht nur als archaisches Prinzip seine Bedeutung, sondern ist immer zugleich schon Inhalt, selbst wenn man den mythologischen Wurzeln, wie sie von Wedewer ² aufgezeigt werden, nicht folgen mag.

Konkrete Kunst, nichts Symbolisches, keine formalen Fantasien, eher Ergebnisse von Experimenten zur Formfindung . Aus dieser eher zufälligen Begegnung mit dem Künstler ergaben sich weitere intensive Diskussionen und ein fortan reger Gedanken- und Gesprächsaustausch, mehr noch eine Freundschaft, die nicht zuletzt in gemeinsamen Buchprojekten ihren Ausdruck fand ³.

Arbeiten im Öffentlichen Raum sowie Kunst am Bau sind für viel Künstler, so auch für Harald Kahl, sehr ambivalent. Einerseits wollen sie ihrem eigenen Kunststil treu bleiben, andererseits haben die meisten Auftraggeber bestimmte Vorstellungen und Wünsche. Das Eingehen auf geforderte Bedingungen und dennoch die Beibehaltung eigener Vorstellungen gelingt Harald Kahl bei seinen Projekten immer wieder.

Die Gestaltung der Kapelle im Knappschafts- Krankenhaus Bochum Langendreer zeigt dies in eindrucksvoller Weise. Dabei waren die Vorgaben nicht gerade ideal. Aus einem fensterloser Raum, der an einen Bunker erinnerte, rechteckig und niedrig, sollte ein Meditationsraum werden, ein Raum „an dem die Begegnung mit dem Heiligen möglich werden soll“. Kahl entwirft ein Gesamtkonzept, dass die inhaltliche Orientierung "von außen nach innen" in eine Spiralform umsetzt, eine Deckenöffnung vorsieht und eine klare Zentrierung. Bezeichnenderweise tragen der Altartisch und das Kreuz am stärksten Kahls Handschrift. Hier wirkt am ehesten die Eigengesetzlichkeit einfacher Formprägung im wohl gesetzten Maß, so als ob die Hinführung von außen nach innen auch einen Zugang zu dieser Bedeutung einfacher Formen sein kann, hin zur Plastik.

Bei der Gestaltung eines Treppenhauses des St. Elisabeth Krankenhauses in Kiel gelingt es Harald Kahl aus den baulichen Gegebenheiten der vier Ebenen (Etagen) die Thematik der vier Elemente Erde, Wasser, Feuer und Luft in bemerkenswerter Weise umzusetzen. Ähnlich wie bei seinen Plastiken, bedient er sich der Reduktion auf das Wesentliche, was aber nicht zur Vereinfachung der Formensprache führt, sondern auf Grundmotive und Grundprinzipien hinweist. Er überzeugt die Auftraggeber mit seinem Konzept, die gesamte 50m²- Glaswand nach seinen Entwürfen bearbeiten zu lassen. Auch hier in der Glasgestaltung findet er neue Wege und es fällt auf, dass er die Vorgaben und Anliegen der Auftraggeber in ein schlüssiges Konzept einarbeitet. Derart steht also nicht die eigene plastische Formgebung im Vordergrund sondern das konzeptionelle Herangehen.

Was den Bildhauer Kahl bewegt ist das, was eine Plastik an sich ausmacht, nämlich ihre fundamentale Form und Proportion, ihr Material und letztlich die Einordnung in den sie umgebenden Raum. Diese Grundgedanken ließen sich zumindest teilweise bei einem Auftrag für eine Außenplastik am Forschungs- und Entwicklungszentrum Witten verwirklichen. Bei der Plastik „156“(Abb. rechts) handelt es sich um eine ca. 6m hohe Edelstahlsäule mit quadratischem Querschnitt (41x41x540cm). Sie besteht aus zwei senkrechten Stelen, die aufeinander gesetzt sind. Damit wird sehr schnell das Thema klar: wie Höhe zu gewinnen ist. Das Aufrichten von Körpern als Grundphänomen jeglicher plastischer Gestaltung wird hier konkret sichtbar. Die Formulierung der Senkrechten und der Proportionen ist wichtig. So ist das obere Element 30 cm kürzer, um nicht auf dem unteren zu lasten. Formgefühl bestimmt das Maß. Beide Körper ergänzen sich und bilden eine säulenartige Aufrichtung. Gleichzeitig nimmt Kahl deutlichen Bezug zur umgebenden Architektur. Im Dialog mit dem Umfeld erhält nicht nur die Plastik eine neue Qualität sondern auch die sie umgebende Natur wird verändert. Die Plastik definiert den Raum, in dem sie aufgestellt ist. Sie „verortet“ diesen Umraum.

Neben den realisierten Projekten beteiligt sich Kahl bei Ausschreibungen zur Gestaltung von Plätzen im öffentlichen Raum. Dabei zeigt sich die konzeptuelle Grundlage in der Kunst, nämlich die Untersuchung und Erforschung von Plastik im Raum und wie sie einander beeinflussen. Die Auseinandersetzung mit dem vorgegebenen Raum und das Sichtbarmachen seines künstlerischen Anliegens durch die Positionierung der jeweiligen Arbeit ist für ihn immer wieder eine neue Herausforderung, der er sich mit einem hohen Anspruch stellt.

So etwa bei einem Wettbewerb zur Gestaltung der Ruhrbrücke in Witten, die sein plastisches Arbeiten herausfordert . Er plant zwei Edelstahlstelen mit 60cm Durchmesser und 6m Höhe, die zu beiden Seiten von Brücke und Fluss aufgestellt werden sollen und so als „Tor“, wie ein weit sichtbares topografisches Objekt diese besondere Kreuzungssituation markiert.

Weitere Beispiele sind Wettbewerbe zu zwei Shoa-Denkmalen. Dabei geht es ihm um das Durchkreuzen von Alltagsroutine, um das Innehalten und Nachdenken. 1999 gewinnt Kahl einen 2.Preis mit seinem Entwurf einer Platzgestaltung in Bad Berleburg. Neben dem Judenfriedhof, der begehbar werden soll, wird eine Plastik konzipiert, die letztendlich auch die Straße durch Aufpflasterung unterbricht.

Bemerkenswert bei diesen Projekten ist, dass Harald Kahl bei seiner Formgebung auch immer wieder bereits einmal gefundene Lösungen durch Variationen überprüft und so im Laufe seines künstlerischen Arbeitens auf eigene Plastiken Bezug nimmt.

 

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